Gesucht: ein Reifer Partner
John Kornblum
AGI Trustee
John Kornblum is a senior counselor at the international law firm Noerr LLP and a former U.S. ambassador to Germany. He is a member of the AGI Board of Trustees.
Dieser Artikel würde am 19. Juli 2013 auf Seite zwei der Welt gedruckt. Mit der Erlaubnis des Authors, steht der Originaltext hier.
Anfang des Jahres 1999 berichteten Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft, die ihren Nachwuchs in Berliner Kindergärten schickten, von unerfreulichen Beleidigungen oder gar Drohungen durch deut-sche Eltern. Die Ausbrüche waren direkt und sehr persönlich.
Als Botschafter der USA war ich das Objekt noch schärferer Kritik. Die Berliner Presse war voll von Invektiven gegen mich persönlich, da-runter war auch der Vorwurf, ich hinge voller Nostalgie der Vorstel-lung von Amerika als einer Besatzungsmacht an.
Worum ging es? Nach Attacken von al-Qaida in Ostafrika im Jahre 1998 erachtete es die US-Regierung für nötig, die Sicherheitsstan-dards für den geplanten Neubau unserer Botschaft am Pariser Platz zu erhöhen. Dabei ging es auch um mögliche Änderungen im Gesamt-plan der Stadt für das Areal.
Ohne auf die Details unserer Bitten einzugehen, schienen die Berliner Behörden zu glauben, unser wahres Ziel sei es, den Berlinern zu sagen, wie sie ihre Stadt wieder aufbauen sollten. Die Antwort kam prompt und klang verärgert.
Angriffe selbst im Kindergarten
Selbst im Kindergarten, wie mir Familien von Botschaftsmitarbeitern – manchmal unter Tränen – erzählten, gab es gemeine Bemerkungen, oft vorgetragen in Anwesenheit der Kinder.
Heute ist unser Botschaftsgebäude sicher und äußerlich ziemlich un-auffällig. Vorausschauend hatten wir dafür gesorgt, dass keine Straßen geschlossen werden müssen, um unsere Anforderungen zu erfüllen. Die Debatte tobte fast drei Jahre lang, bevor sich die Vernunft durch-setzte. Doch selbst als das neue Gebäude acht Jahre später eröffnete, glaubte ein angesehener Architekturkritiker zu wissen, welcher Raum für das Waterboarding vorgesehen sei.
An die damaligen Erfahrungen fühlte ich mich erinnert in den letzten Tagen während des öffentlichen Aufschreis angesichts der Enthüllun-gen über die weltweiten elektronischen Überwachungsmaßnahmen der NSA. Auch die Versicherungen des US-Präsidenten, dass die abge-schöpften Daten nur selten genutzt worden seien, konnten den Zorn nicht beruhigen.
CIA gleich Stasi?
Dem Mann, der die Geheimnisse veröffentlicht hatte, boten führende Politiker Asyl an. Ein anderer verglich die amerikanischen Methoden mit denen der ostdeutschen Stasi. Es gab die Forderung, die wichtigen Verhandlungen über eine Freihandelszone mit den USA zu verschie-ben. Ein Radio-Kommentator fragte mich, ob dem amerikanischen Volk plötzlich seine Liebe zur Freiheit abhanden gekommen sei.
Ein wesentlicher Teil der deutschen Presse und Öffentlichkeit schien weder der amerikanischen Demokratie zu trauen, noch gab es ein Ver-ständnis dafür, wie essenziell eine solche Geheimdienst-Kooperation auch für die eigene Sicherheit ist. Das Echo war so verheerend, dass sowohl die Kanzlerin als auch der Innenminister versuchten, die Ge-müter zu beruhigen.
Leider gehören solche wiederholten emotionalen Ausbrüche gegen die Vereinigten Staaten zu den Konstanten der Beziehungen Deutschlands zu den USA – und zunehmend gilt das auch für den Rest Europas. Die Gründe dafür sind wohl genauso komplex wie verletzend. Aber die Zeit ist vorbei, in der man solche Reaktionen als Wachstumsschmerzen ei-nes Nachkriegsdeutschlands abtun konnte. Europa, Amerika und die Welt brauchen eine reife deutsche politische Kultur, die neue Proble-me als Chance begreift statt als drohende Katastrophe. Dieses Thema verdient genauso viel Diskussion wie die amerikanische Überwachung selbst.
Prism als Testfall
Das Prism-Programm ist dafür ein wichtiger Testfall. Ist es möglich, in westlichen Ländern eine ernsthafte Diskussion darüber zu führen, wie weit wir gehen können bei der Anwendung neuer Technologien für dringende Sicherheitszwecke, selbst wenn dabei die Privatsphäre berührt werden könnte?
Eines ist sicher: Wir werden künftig noch viel häufiger mit solchen schwierigen Abwägungen konfrontiert sein. Wir reden hier nicht nur über die Überwachung von Terroristen. Die gleichen schwierigen Ab-wägungen kommen auf uns zu bei neuen Technologien zur Energie-gewinnung, beim Klimawandel oder beim Umgang mit der wachsen-den Instabilität in Zonen wie dem Mittleren Osten. Genetisch verän-derte Pflanzen können helfen, den weltweiten Hunger zu besiegen. Neue Waffentechnologien wie die Drohnen können die Kosten für un-sere Sicherheit dramatisch reduzieren.
Aber die Europäer machen es zu häufig wie im Falle der amerikani-schen Botschaft in Berlin. Sie reagieren emotional auf Bedrohungen, noch bevor eine ernsthafte Diskussion begonnen hat. Das Prism-Programm zum Beispiel basiert auf einem sorgfältig kontrollierten System, das vom Kongress genehmigt wurde und das von speziellen Gerichten überwacht wird. Es verfügt über eine viel festere Grundlage für eine Kontrolle durch die Regierung, als dies in den meisten euro-päischen Ländern der Fall ist. Statt es zu verurteilen, könnten die Eu-ropäer von einer ernsthaften Diskussion über die Implikationen des Programms profitieren.
Deutsches Selbstbewusstsein
Unsere Politiker sehen sich heute einer Welt gegenüber, in der natio-nale Grenzen, politische Systeme und selbst die eigenen privatesten Gedanken schrittweise übergehen in ein scheinbar endloses Archiv von Informationen, mit denen man alles mögliche tun kann – vom Umsturz einer Regierung bis zu der Vorhersage, wann unsere Kinder ihre ersten Zähne bekommen werden.
Führende Nationen wie Deutschland und die Vereinigten Staaten müssten an vorderster Front stehen in der Debatte darüber, wie man einen solchen dramatischen Wandel versöhnen kann mit westlichen Werten. Um hilfreich zu sein, müssen diese Diskussionen auf Fakten basieren, nicht auf Emotionen.
Womit wir wieder bei der amerikanischen Botschaft 1999 wären. Je-der, der so viele Jahre mit Deutschland zusammengearbeitet hat wie ich, weiß, dass “faktisch” und “emotionslos” Worte sind, die selten in politischen Diskussionen innerhalb der deutschen Gesellschaft ver-wendet werden.
Deutschland ist es immer noch nicht gelungen, ein Fundament des Selbstbewusstseins wieder aufzubauen, das es ihm erlaubt, Heraus-forderungen eher als Aufgaben zu sehen denn als emotionale Krisen. Selbst Fragen wie der Euro werden zu oft nach moralischen Kriterien beurteilt – statt darin Objekte einer gemeinsamen Strategie zu sehen.
Wir brauchen deutschen Rat
Wir sollten auch ehrlich über einen weiteren wichtigen Punkt reden. Der amerikanische Nationalcharakter führt oft zu schnellen Entschei-dungen und unilateralem Verhalten. Dass wir für jedes Missgeschick kritisiert werden, das uns geschieht, verstärkt oft diese Tendenz. Die Vereinigten Staaten brauchen reife Partner, die dabei helfen, die ver-wirrend vielen Entscheidungen zu sortieren, die vor uns liegen.
Wir brauchen stetigen, pragmatischen Rat, und durchaus auch manchmal Druck, wenn wir Gefahr laufen, vom richtigen Weg abzu-kommen. Genau diese Art von Partnerschaft hatte Präsident Obama angeboten, als er in seiner jüngsten Rede in Berlin eine umfangreiche Agenda für eine pragmatische Zusammenarbeit beschrieb. Indem er die EU in seinen Ausführungen nicht ein einziges Mal erwähnte, machte der Präsident deutlich, dass Amerika erwartet, dass Deutsch-land der führende Partner bei diesen Anstrengungen ist.
Wird sich Deutschland dieser Aufgabe gewachsen zeigen und dabei helfen, sicherzustellen, dass die europäischen Stimmen in Washington laut gehört werden? Viele Beispiele aus jüngster Zeit, von Libyen über neue Methoden der Gasgewinnung bis zur Terrorismus-Bekämpfung, geben wenig Grund zu Optimismus. Der nächste emotionale Auf-schrei gegen Amerika wartet wohl schon um die Ecke.