Nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen: Was bedeuten die Ergebnisse für die Bundespolitik?
Dieter Roth
University of Heidelberg
Professor Dr. Dieter Roth is a Professor at the Institute of Political Science at the Universität Heidelberg.
Im Kanzleramt in Berlin ist man bemüht, die Bedeutung der beiden Landtagswahlen am letzten und vorletzten Sonntag herunterzuspielen. Die Ergebnisse gefallen der Union nicht, verständlicherweise.
Aber natürlich haben die Resultate von Landtagswahlen generell und besonders wenn das größte Bundesland gewählt hat und so vieles passiert auch immer Einfluss auf die Politik im Bund, nicht immer im gleichen Ausmaß, aber Landtagswahlen bleiben nie ohne jeglichen Einfluss. Bereits vor dem letzten Sonntag hat die Union heftig protestiert, als ihr Spitzenkandidat in NRW die Wahl zu einer Abstimmung über die Europapolitik der Kanzlerin machen wollte und darauf bestanden, dass es sich um eine Landtagswahl handele und als solche zu bewerten sei. Man ahnte Böses, denn Rückwirkungen – zumindest auf die Stimmung im Bund – gibt es allemal.
Es ist richtig , dass eine Bundesregierung, welche Farbe sie auch immer hat, Verluste in den Ländern um die Mitte der Legislaturperiode nicht unbedingt zum Nennwert nehmen muss, denn das ist eher die normale Entwicklung. Wähler setzen gerne ein Gegengewicht zu den Regierenden im Bund, wenn sie dazu Gelegenheit haben und Raum für Kritik gegenüber denen da „oben in Berlin“ gibt es sowieso immer. Die Frage ist, ob die Verluste der Regierungsparteien das „Übliche“ deutlich überschreiten und damit ein Alarmzeichen für Angela Merkel und ihre Regierung gesetzt wurde? Schließlich wurde in Schleswig-Holstein eine schwarz-gelbe Landesregierung abgewählt und in Nordrhein-Westfalen einer rot-grünen Minderheitsregierung zu einer sicheren Mehrheit verholfen und in beiden Ländern hatte sich die Bundeskanzlerin im Wahlkampf engagiert.
Seit der Bundestagswahl 2009 gab es 11 Landtagswahlen, in NRW sogar gleich zwei. In acht dieser Wahlen hat die CDU verloren, in einigen davon empfindlich, darunter in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai 2010 über 10 Prozentpunkte. Die FDP hat ebenfalls in acht Landtagswahlen verloren und flog aus sechs Landesparlamenten. Wenn die CDU bei einer Wahl nicht verloren hat, hat die FDP verloren oder umgekehrt. Das hört sich insgesamt nach einer schlechten Bilanz für die schwarz-gelbe Koalition an und wird dadurch unterstrichen, dass die schwarz-gelbe Mehrheit bei der Bundestagswahl 2009 in Umfragen danach nie wieder erreicht wurde. Im Moment liegt sie etwa 10 Prozentpunkte unter jener Erfolgsziffer beim Beginn der Legislaturperiode. Zwar hält die Union in etwa ihre Ausgangsstärke von 2009 dank guter Einschätzung der Kanzlerin, aber ein Ergebnis wie das des letzten Sonntags sollte sie alarmieren. Die CDU verliert in Nordrhein-Westfalen weit überdurchschnittlich bei ihrer normalerweise treuesten Unterstützergruppe, den über 60Jährigen, und dort noch stärker bei den Frauen (-12) als bei den Männern (-10).
Nun hat aber bei beiden Landtagswahlen eine totgesagte FDP jeweils über 8% der Stimmen erreicht. Ist dies die Auferstehung der FDP auch im Bund und damit auch eine Beruhigung für die Kanzlerin und die Koalition in Berlin?
Hört man dazu die Parteispitze der Liberalen, so ist das so. Die Daten aus den beiden Wahlen zeigen dagegen, dass es dabei eher zwei für die FDP-Klientel ausgesprochen attraktiven Kandidaten gelungen ist, einer an sich für keine wichtigen Inhalte mehr stehenden Partei – zumindest kurzfristig – neuen Atem einzuhauchen. Man muss wohl abwarten, ob diese Notmaßnahme von Dauer ist. Die Einschätzung der Wählerschaft hierzu ist sehr kritisch. Der Partei wurde in keinem der beiden Länder ordentliche Parlaments- oder Regierungsarbeit bescheinigt und vor allem die Bundespartei bekommt ausgesprochen schlechte Bewertungen sowohl in diesen Ländern als auch von der Wählerschaft im Bund insgesamt. Die Probleme der Liberalen sind nicht vorbei. Eine Mehrheit in der Bevölkerung meint laut Politbarometer, man brauche diese Partei nicht mehr.
Eine andere Bedrohung für die alten Parteien in Berlin und die Stabilität von Regierungen insgesamt wurde auch bei dieser Wahl offenkundig, eine Bedrohung gegen die sie sich bisher kaum wehren können. Es sind die Erfolge der Piraten, die problemlos nunmehr in den dritten und vierten Landtag eingezogen sind. Die Piraten haben nicht wirklich ein Programm. Sie versprechen zwar, einmal zu liefern. Dies ist aber ihren Wählern im Moment noch nicht wichtig. Die sind mit den anderen Parteien einfach unzufrieden und die Piraten bieten das notwendige Ventil für diese Unzufriedenheit. Sie sind ja auch nicht die wirklich ‚bösen Buben’ und bekommen deshalb von allen Parteien Zulauf. Bei Wahlen zweiter Ordnung, wie den Landtagswahlen, passiert dies eher, weil man da auch mal bereit ist, ein Risiko einzugehen oder die eigentlich bevorzugte Partei mal abzustrafen. Bei einer Bundestagswahl, die von den meisten Wählern doch als sehr wichtig eingeschätzt wird, handelt man da „verantwortungsvoller“. Deshalb darf man die Erfolge der Piraten nicht überbewerten, aber die Erfolgswelle hat derzeit noch ziemlichen Schwung.
Die Grünen haben sich trotz gewachsener Konkurrenz, was vor allem die Zielgruppe der jüngeren Wähler angeht, in etwa gehalten. Sie gehen eher gestärkt aus diesen Wahlen hervor. Dies gilt noch mehr für eine erfolgreiche SPD, weil rot-grüne Bündnisse, trotz zunehmender Zerklüftung der Parteienlandschaft, noch möglich erscheinen. Über die Erfolgsaussichten der SPD bei der Bundestagswahl 2013 geben die beiden Landtagswahlen jedoch keine Auskunft. Dazu muss erst das Führungsproblem in der Partei geklärt werden und viele andere Außenbedingungen, wozu auch die Entwicklung der ‚Linke’ gehört. Deren Schwächeperiode im Westen der Republik hält an und legt dabei die Probleme der Partei auf der Führungsebene offen. Gerade politische Randparteien sind jedoch, oft gegen die offizielle Ideologie, stark von Persönlichkeiten an der Spitze beeinflusst und der Erfolg der Partei von diesen abhängig.
2012 gab es bisher drei Landtagswahlen, alle außerhalb des normalen Turnus. Es waren vorgezogene Wahlen, weil eine Koalition zu Bruch ging, weil ein Haushalt keine Mehrheit fand und weil ein Wahlgesetz nicht verfassungsgemäß war. Die Wahlergebnisse haben hohe Flexibilität der Wähler und Veränderungsbereitschaft offenbart. Regieren wird zu Sehens schwieriger und Bürger anspruchsvoller. Das gilt mit Sicherheit auch für den Bund. Das ist das eigentliche Ergebnis der beiden Landtagswahlen.